Bei der Sanierung des Altbaus wird eine neue Haustüre eingebaut. Leider durchtrennt der Handwerker bei der Montage – unbemerkt – die Leitung der Türklingel. Der Auftraggeber stellt dies kurz danach fest und reklamiert nun beim Handwerksbetrieb den Schaden. Erste Reaktion: „Kann gar nicht sein!“
Beim Kunden steigt in diesem Moment der Blutdruck in nie da gewesene Höhen. „Halten die mich für doof?“ist noch die harmloseste Vermutung. Er weiß, er hat Recht – die Klingel funktionierte ja bei Ankunft des Handwerkers. Er weiß, die Leistung ist nicht erfüllt – die Türanlage erfüllt so nicht ihren Zweck. Und er weiß, er hat nun zusätzlichen Aufwand – einfach gesagt, er hat keine Lösung für sein (zu bezahlendes) Anliegen. Wie gesagt, er weiß es. Die höchst gefährlichen Begleiterscheinungen dieses Wissens sind jedoch die Gefühle, die es auslöst!
Bei Beschwerden und Reklamationen geht es gerade nicht um sachliche Probleme, nicht um Lösungen – zuerst und vor allem geht es um Emotionen, um Enttäuschungen, um Ärger, um Scham, um Zurückhaltung.
Personen, die sich beschweren, wollen wahrgenommen werden, wollen, dass ihre Emotionen erkannt, gespiegelt werden, dass ihr Ärger nicht ins Leere läuft. Leider ist unsere Arbeitswelt darauf nicht gut vorbereitet. Wir sind als Mitarbeiter darauf trainiert, dass in unserer Ausbildung und in unserer beruflichen Tätigkeit Emotionen keine Rolle zu spielen haben. Wir begründen, beweisen, argumentieren, arbeiten sachlich und nachvollziehbar: Emotionen sind „pfui“. Dass sie dennoch vorhanden sind, wird schlicht ausgeblendet.
Und so nimmt die klassische Beschwerde-Geschichte ihren Lauf. Der Kunde erkennt nun, dass er zur Qualität der handwerklichen Leistung falsche Erwartungen entwickelt hat. Und erkennt, dass ihn sein Geschäftspartner damit erst einmal alleine lässt. Schlimmer noch, unterschwellig („Kann gar nicht sein!“) wird ihm noch unterstellt, er behaupte eine Unwahrheit! Nun darf sich sein Ärger völlig frei und ungebremst entwickeln…
Wann genau erfolgt dann die Beschwerde? Wenn die Emotionen hoch genug sind, um den „Aufwand“ einer Beschwerde zu rechtfertigen. Niemand greift erst dann zum Telefonhörer oder knöpft sich den verantwortlichen Mitarbeiter vor, wenn er sich beruhigt hat. Nein, erst auf dem Höhepunkt der emotionalen Erregung entlädt sich das Gewitter der Enttäuschung beim – nun völlig von der emotionalen Form überraschten – Handwerker.
Von diesem massiven Angriff irritiert, schützt der sich zuerst einmal und wechselt so schnell wie möglich in die Abwehrhaltung. Wer lässt sich schon gerne prügeln? Und sei es nur verbal? Gegen diese aus seiner Sicht pauschale Anschuldigung muss sich der Angegriffene also zunächst pauschal schützen. Seine aus diesem Blickwinkel nachvollziehbare Reaktion: „Kann gar nicht sein!“
Wer sich beschwert, ist ein guter Kunde
Beschwerden von Kunden kommen manchmal wie aus heiterem Himmel. Obwohl scheinbar alles richtig gemacht wurde, treten Zwischenfälle auf, die man nach schneller Beseitigung nur allzu gerne vom Tisch wischen würde. Beschwerden haben jedoch einige interessante Eigenschaften. Deshalb sind bei ihrer Behandlung bestimmte Aspekte zu beachten.
Beschwerden bergen Informationspotential, sie geben Hinweise auf eventuell strukturelle Schwachstellen im Organisationsablauf. Sie können daher als Input für das Qualitätsmanagement und die Produktentwicklung in Ihrem Unternehmen verstanden werden. Dazu müssen sie strukturiert erfasst werden.
Daneben transportieren Beschwerden Loyalitätspotential. Das heißt, aus einem anfänglich unzufriedenen Kunden, dessen Beschwerde ausgezeichnet behandelt wurde, wird ein Kunde, der letztlich zufriedener ist als solche, die ihre Erwartungen von vornherein erfüllt sahen. Dieser Umstand wird auch als das Beschwerde-Paradoxon (recovery paradox) bezeichnet.
Untersuchungen zum Thema bestätigen zudem, dass die wachsende Kundenzufriedenheit nach zufriedenstellender Bearbeitung auch mit einer steigenden Wiederkaufabsicht des Kunden einhergeht. Aus diesem Blickwinkel ist eine Beschwerde somit gleichzeitig als Chance zu sehen, die Zufriedenheit des Kunden zu erhöhen und ihn sogar enger zu binden.
Entscheidend ist die Tatsache, dass ehemals unzufriedene Kunden, deren Beschwerde ausgezeichnet bearbeitet wurde, das Unternehmen häufiger an potentielle Kunden weiterempfehlen. In Zeiten abnehmender Kundenloyalität ist dies ein Wert, bei dem sich die Frage aufdrängt, warum einerseits Mitarbeiter Beschwerden fürchten und andererseits Unternehmen oft wenig für die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter für den zielgerichteten Umgang mit Beschwerden tun.