Wer hat sich eigentlich diesen Begriff Work-Life-Balance ausgedacht? Klingt ja nett – aber mal drüber nachgedacht, was das wirklich bedeutet?
Work-Life-Balance klingt seit Jahren wie die Zauberformel der modernen Arbeitswelt. Der Begriff soll das große Ziel beschreiben: ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beruf und Privatleben. Doch hinter dem hübschen Etikett steckt ein merkwürdiges Denkmuster – eines, das Arbeit und Leben als Gegensätze begreift.
Denn wer „Work“ und „Life“ gegenüberstellt, sagt im Grunde: Arbeit ist nicht Leben. Arbeit ist das, was man „hinter sich bringt“, damit das eigentliche Leben endlich beginnen kann.
Diese Vorstellung ist doch – gelinde gesagt – befremdlich. Sie wertet einen enormen Teil unserer Lebenszeit ab. Immerhin verbringen wir in Deutschland im Schnitt rund 8.000 Tage unseres Lebens – oder etwa 2.100 Arbeitswochen – mit beruflichen Tätigkeiten. Eine Wartezeit auf „echtes Leben“. Auf Freitag, 17 Uhr. Auf Wochenende. Auf Rente? Dann wäre das ein ziemlich trister Blick auf das eigene Dasein.
Dabei zeigt schon die Maslow’sche Bedürfnispyramide, dass Arbeit mehr ist als bloßer Broterwerb. Sie kann Zugehörigkeit stiften, Selbstachtung fördern und im besten Fall zur Selbstverwirklichung beitragen. Arbeit ist also nicht das Gegenteil von Leben – sie ist ein Teil davon. Wenn man sie lässt. Ein Ort, an dem Sinn, Stolz und Freude genauso entstehen können wie in Freizeit oder Familie.
Man muss dafür gar nicht ins Silicon Valley blicken. Es reicht, die Augen zu öffnen:
- Der Polizist, der tanzend den Verkehr regelt – und dabei halb YouTube begeistert.
- Die Müllwerkerin, die lachend und winkend von der Plattform ihres Fahrzeugs grüßt und so die morgendliche Routine vieler Nachbarn verschönert.
- Die Pflegekraft, die mit Wärme, Humor und echter Zuwendung ihre Patientin betreut und spürbar mit ihnen lebt – nicht nur für sie arbeitet.

Diese Menschen zeigen: Freude an der Arbeit ist kein Luxus. Sie entsteht, wenn man im Tun Bedeutung findet – unabhängig von Hierarchie, Gehalt oder Statussymbol. Wenn man seine Arbeit als Beruf(-ung) lebt – und nicht nur als Job.
Vielleicht ist es also Zeit, den schon wieder alten Begriff Work-Life-Balance in den Ruhestand zu schicken.
Wie wäre es stattdessen mit Work-Leisure? Oder einfach: Lebensbalance.
Eine Haltung, die nicht zwischen Arbeit und Leben unterscheidet, sondern beide als Einheit begreift.
Denn wer seine Arbeit als Sinn-vollen und lebenswerten Teil des Lebens gestaltet, muss keine Balance mehr suchen – er lebt sie und fühlt sich darin lebendig.
Also: Weniger auf den Feierabend zu warten – und anfangen, jeden Tag im Gesamten als Teil unseres Lebenswerks zu sehen. Er ist eine von 8.000 täglichen Chancen, die wir bewusst gestalten können.



