Noch nie arbeiteten so viele Generationen gleichzeitig in Unternehmen wie heute. Babyboomer, Generation X, Millennials und inzwischen auch die Generation Z – jede Altersgruppe bringt eigene Werte, Erwartungen und Arbeitsstile mit. Doch wie gelingt es, diese Unterschiede produktiv zu nutzen, statt in Missverständnisse und Konflikte abzurutschen? Die Generationenexpertin Rachele Focardi hat dazu spannende Einblicke zusammengetragen.
Focardi, Autorin von Reframing Generational Stereotypes, berät seit fast zwei Jahrzehnten Firmen weltweit. Sie beobachtet, dass lange kaum jemand über Altersunterschiede reden wollte. Erst in den vergangenen Jahren hat sich dieses Tabu gelockert. Der Grund: Viele jüngere Menschen treten mit völlig anderen Vorstellungen ins Berufsleben ein als ihre Vorgänger.
Karriere oder Sinn? Was Generationen trennt
Die Unterschiede beginnen schon bei der Frage, was Arbeit eigentlich bedeuten soll. Während die Generation X Karriere, Status und ein attraktives Gehalt als entscheidend ansah, wollen Millennials vor allem Sinn, Wertschätzung und eine ausgewogene Work-Life-Balance. Altehrwürdige Unternehmensnamen, die frühere Bewerber magnetisch anzogen, verlieren an Strahlkraft – stattdessen zählen Freiräume, persönliche Entwicklung und Purpose.
Diese Verschiebung hat viele Firmen dazu gebracht, Hierarchien abzubauen und Führung stärker als Coaching zu verstehen. Doch ein Problem blieb: Die Generationen wissen oft erschreckend wenig voneinander. Vielen Älteren wurde nie erklärt, warum jüngere Kolleginnen und Kollegen Wert auf regelmäßiges Feedback, Flexibilität und flache Strukturen legen. Umgekehrt verstehen Millennials häufig nicht, dass Babyboomer Arbeit ganz anders priorisieren. Sie setzen auf Loyalität und erwarten, dass man sich für Erfahrung und Engagement bedankt.
Warum Respekt so unterschiedlich empfunden wird
Ein zentraler Knackpunkt ist der Begriff Respekt. Babyboomer erwarten oft Ehrerbietung – geprägt von einer Kindheit, in der Autoritäten nicht infrage gestellt wurden. Für sie ist es selbstverständlich, Vorgesetzte mit einer gewissen Distanz zu behandeln und deren Erfahrung anzuerkennen. Millennials hingegen sind partnerschaftlicher aufgewachsen und haben kein Problem, Chefs zu widersprechen oder offen Veränderungen einzufordern. Für viele Ältere wirkt das schnell respektlos – für Jüngere ist es Ausdruck von Eigenverantwortung und Professionalität.
Auch Generation X tut sich oft schwer, dieses Selbstverständnis nachzuvollziehen. Viele aus dieser Kohorte mussten sich über Jahre hinweg hocharbeiten, ohne frühes Mitspracherecht. Dass Millennials schon in jungen Jahren aktiv gestalten wollen, wirkt auf manche wie Anmaßung.
Corona als Katalysator des Verständnisses
Interessant ist, dass die Pandemie laut Focardi unerwartet Brücken gebaut hat. Viele ältere Beschäftigte haben erlebt, dass Remote Work nicht nur funktioniert, sondern auch mehr Lebensqualität bringt. Statt täglich pendeln zu müssen, konnten sie Zeit für Sport, Familie oder Hobbys nutzen – und merkten, dass die Arbeit trotzdem lief. Die gemeinsame Erfahrung von Unsicherheit, Umbruch und Homeoffice hat das Verständnis füreinander vertieft.
Trotzdem bleibt viel zu tun: In einer weltweiten Befragung gaben 97 Prozent an, kaum etwas über die Erwartungen älterer oder jüngerer Kollegen zu wissen. Das zeigt, wie groß der Nachholbedarf ist, wenn es um echten Dialog geht.
Die Rolle der Generation Z
Mit der Generation Z zieht eine weitere Gruppe ins Berufsleben ein, die noch mehr Wert auf Sinnstiftung legt. Sie wollen aktiv gestalten, Verantwortung übernehmen und positive Veränderungen anschieben. Für sie ist es selbstverständlich, dass Arbeit auch gesellschaftliche Wirkung hat. Unternehmen, die ihnen zu wenig Raum geben, riskieren, dass sie rasch wieder gehen – gleichzeitig steckt hier enormes Potenzial für Innovation.
Focardi warnt jedoch davor, diesen Drang zu unterschätzen. Wenn Purpose nur als Marketingfloskel daherkommt, fühlen sich junge Beschäftigte schnell ausgebremst. Deshalb sollten Unternehmen glaubwürdig vermitteln, wie ihre Arbeit tatsächlich Mehrwert schafft – und dies auch sichtbar machen.
Was Organisationen tun können
Focardi empfiehlt, gezielt Formate für Austausch und Lernen zu schaffen. Shadow Boards – also beratende Gremien junger Talente – haben sich zum Beispiel bei Gucci bewährt. Dort konnten Nachwuchskräfte Strategien mitgestalten und ihre Perspektive einbringen. Solche Strukturen geben Jüngeren Sichtbarkeit und zeigen Älteren, wie wertvoll ihr Input ist.
Darüber hinaus helfen generationenübergreifende Projekte oder Tandems, Vorurteile abzubauen und gegenseitiges Vertrauen zu stärken. Gerade für Führungskräfte gilt: Sie müssen Räume schaffen, in denen alle Fragen erlaubt sind – ohne Angst, sich zu blamieren. Wer sich traut zuzugeben, dass er Unterstützung braucht, legt die Grundlage für eine Lernkultur.
Wer die Vielfalt der Generationen richtig nutzt, baut ein starkes Fundament für Zusammenarbeit, Innovation und Motivation. Dafür braucht es Neugier aufeinander – und die Bereitschaft, alte Rollenmuster loszulassen. Denn letztlich gilt: Nur wenn alle verstehen, was den anderen wichtig ist, ziehen sie gemeinsam am selben Strang. So wird aus Generationenvielfalt ein echter Wettbewerbsvorteil.
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