Inflation, Fachkräftemangel, Corona, Energiekrise – viele Unternehmen haben heute kaum Zeit zum Verschnaufen. Kaum scheint eine Welle abgeebbt, rollt schon die nächste heran. Diese Dauerkrisenlage zerrt nicht nur an der Substanz der Betriebe, sondern auch an den Nerven der Menschen, die darin arbeiten. Führungskräfte stehen besonders im Fokus: Sie müssen Entscheidungen treffen, Mitarbeitende mitnehmen und ihnen Halt geben – und gleichzeitig mit der eigenen Verunsicherung umgehen.
Wie gelingt es, in solchen Phasen präsent, klar und handlungsfähig zu bleiben? Verschiedene Experten haben dazu erprobte Ansätze entwickelt, die Führungskräften Orientierung geben.
Die Rolle bewusst gestalten
Der Managementforscher Robert Sutton von der Stanford University empfiehlt, in der Krise zunächst die eigene Rolle zu reflektieren. Anstatt sich nur noch auf operative Rettungsmaßnahmen zu verbeißen, sollten Führungskräfte vier Dinge tun:
- Berechenbarkeit zeigen: Verlässlichkeit ist in unsicheren Zeiten entscheidend. Wer nachvollziehbar handelt, nimmt dem Zufall ein Stück seiner Macht.
- Transparenz schaffen: Maßnahmen offen erklären – das mindert Gerüchte und stärkt Vertrauen.
- Halt geben: Mitarbeitende einbinden, damit sie ihre Handlungsfähigkeit spüren.
- Mitgefühl leben: Ängste anerkennen und ernstnehmen, statt sie kleinzureden.
Wer diese Prinzipien beherzigt, sichert nicht nur Leistung, sondern auch Loyalität.
Mit der eigenen Angst arbeiten
Doch auch Führungskräfte sind Menschen, die sich bedroht fühlen. Der Psychologe Steven Hayes rät, negative Gefühle weder zu verdrängen noch zu verteufeln. Wer lernt, sie zu beobachten und zu akzeptieren, kann daraus Kraft schöpfen, statt sich von ihnen lähmen zu lassen.
Angst ist nicht nur Belastung, sondern kann wertvoller Antrieb sein – wenn wir sie bewusst steuern:
- Gefühle benennen und analysieren, woher sie kommen.
- Handlungsfelder identifizieren und dort aktiv werden.
- Austausch suchen und Feedback einholen.
- Ein stabiles Unterstützungsnetz knüpfen.
Kurz: Nicht der Angst den Kampf ansagen, sondern sie als Warnsignal und Informationsquelle nutzen. Diese Strategien helfen, Klarheit zu gewinnen und im Handeln zu bleiben.
Ergänzend verweist der Organisationspsychologe Adam Grant in seinem Buch Think Again darauf, wie wichtig es ist, in Krisen den eigenen Denkstil zu hinterfragen: Statt sich in vertrauten Gewissheiten zu verschanzen, sollten Führungskräfte neugierig bleiben, andere Perspektiven einholen und Denkmuster aktiv infrage stellen. Grant spricht hier von der Haltung des „aktiven Umdenkens“, die in dynamischen Krisensituationen besonders wirksam ist.
Vom Trauma zum Wachstum
So abgedroschen es klingen mag – Krisen stoßen Entwicklung an. Psychologen sprechen von posttraumatischem Wachstum. Richard G. Tedeschi zeigt auf, wie Menschen trotz – oder gerade wegen – schwieriger Erfahrungen stärker werden:
- Ein persönliches Narrativ entwickeln, um das Erlebte einzuordnen.
- Den Blick bewusst auf Ressourcen, Erfolge und Chancen lenken.
- Das Geschehen in Worte fassen, um Gedanken zu sortieren.
- Anderen helfen, um Sinn und Verbindung zu erfahren.
Das Ziel: Belastende Ereignisse in Impulse für persönliche Reifung und kollektive Stärke verwandeln.
Auch Studien des Gallup-Instituts zur Resilienz von Teams unterstreichen, wie sehr kollektives Sinnstiften die Widerstandskraft stärkt. Laut Gallup gelingt es resilienten Teams, sich immer wieder auf ein gemeinsames Ziel zu fokussieren, das größer ist als kurzfristige Ängste – ein Aspekt, der in der Praxis oft unterschätzt wird.
Führen in Ausnahmesituationen
Admiral Thad Allen, der große Katastropheneinsätze leitete, betont, dass Krisenführung mehr ist als autoritäres Durchregieren. Seine wichtigsten Prinzipien:
- Gemeinsame Ausrichtung schaffen, statt alle unterzuordnen.
- Das große Ganze verstehen, bevor Entscheidungen fallen.
- Empathisch kommunizieren – jeden Betroffenen mit Respekt behandeln.
- Klare Werte definieren, die allen Orientierung geben.
Für Allen steht fest: Wer selbst Haltung zeigt, kann anderen Stabilität geben.
Ähnliche Gedanken finden sich bei Brené Brown, die in Dare to Lead auf die Kraft von Verletzlichkeit hinweist. Brown argumentiert: Gerade in unsicheren Zeiten wirkt es stärkend, wenn Führungskräfte transparent machen, dass sie nicht auf alles Antworten haben. Das fördert psychologische Sicherheit – eine wichtige Voraussetzung für Vertrauen und Innovation.
Unternehmen strategisch neu aufstellen
Viele Mittelständler waren in der Pandemie gezwungen, quasi über Nacht zu improvisieren. Berater wie Georgiy Michailov und Hans-Joachim Grabow raten, diesen Krisenmodus nicht nur als Notbehelf zu betrachten, sondern als Ausgangspunkt für eine nachhaltige Neuaufstellung. Ihre Empfehlungen:
- Szenarien entwerfen, die alle kritischen Annahmen beleuchten.
- Das Geschäftsmodell prüfen und anpassen, statt nur weiterzuwursteln.
- Die Resilienz testen, um für künftige Schocks besser gerüstet zu sein.
Wenn alte Pläne nicht mehr tragen, kann es helfen, wie Chris Zook und James Allen empfehlen, zur Gründermentalität zurückzukehren: Komplexität reduzieren, den Kunden in den Fokus rücken, Verantwortung übernehmen.
Eine Studie des McKinsey Global Institute betont zudem, wie wichtig es ist, digitale Fähigkeiten zu stärken. Unternehmen, die in der Krise konsequent in Digitalisierung investierten, erzielten langfristig nicht nur mehr Widerstandskraft, sondern auch größere Innovationssprünge. Digital Leadership ist daher längst kein „Nice-to-have“ mehr, sondern ein wesentlicher Hebel, um in unsicheren Zeiten die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Krisen wird es immer geben. Entscheidend ist, wie Führungskräfte damit umgehen. Wer Klarheit schafft, empathisch bleibt und den Mut hat, sich selbst zu reflektieren, kann auch in stürmischen Zeiten Vertrauen, Orientierung und Zuversicht vermitteln. Die wichtigste Erkenntnis: Auch wenn der Weg anstrengend ist – er kann zu einer Quelle von Wachstum und Erneuerung werden.